Knospe vor dem Blühen

Seit einem Jahr geht mir eine Idee durch den Kopf. Ein berufliches Projekt, das immer wieder zu mir zurückkommt und von dem ich fest überzeugt bin, dass es vielen Frauen (und damit auch allen anderen) viel Gutes bringen würde. Ein Projekt, bei dem mir beim Gedanken daran das Herz aufgeht und ich vor Enthusiasmus sprudle. Welches Projekt? Trotz all meiner Begeisterung habe ich es lange nicht geschafft, damit nach außen zu gehen. Bis vor wenigen Wochen.

Seit kurzem versüßt mir Brené Brown mit ihrem Podcast Unlocking Us meine Zeit morgens im Bad. Ihr neues Buch Dare to Lead steht ganz oben auf meiner Leseliste (zusammen mit fünf anderen von empathischen und mutigen Frauen einer „neuen“ Generation, die mehr weibliche Qualitäten in die (Business)Welt manifestieren. In einer Folge sprach sie darüber, was uns davon abhält, die Dinge in die Welt zu bringen, die wir so gerne in die Welt bringen wollen. Es ist unsere Angst davor, (noch) nicht gut genug zu sein. So weit, so gut. Jetzt kommt der für mich entscheidende Teil, der zu einem kleinen inneren Durchbruch führte: Wenn du dein Herzensprojekt in die Welt bringen willst, führt kein Weg daran vorbei, dich verletzlich zu machen.

Bin ich gut genug?

Für mich gibt es schon länger keine strikte Trennung mehr zwischen meiner Arbeit als Yogalehrerin und Journalistin, da ich – wofür ich unfassbar dankbar bin – das tue, was ich mir lange gewünscht und auf das ich lange hingearbeitet habe. In meinen Beziehungen hat die Verletzlichkeit bereits einen glorreiche (das heißt tränen-, wut- und freudenreichen) Einzug gehalten, auch wenn es in Liebesbeziehungen natürlich besonders aufregend bleibt. Danke Danke Danke an all die Menschen, die mich ermutigt haben, mich authentisch, echt und roh zu zeigen. Aber bei meiner Arbeit?

Gerade in meinen 20ern habe ich selten lange überlegt, bevor ich Dinge, die ich wollte, ins Rollen gebracht habe. Aber es gab und gibt auch heute immer wieder diese kniffligen Momente. Die Momente, in denen die Bremse trotz großer innerer Begeisterung für eine Sache fest angezogen ist. Es sind die Herzensprojekte, die uns richtig viel bedeuten.

Die Projekte, bei denen wir auch etwas von uns persönlich zeigen müssen.
Bei denen wir Gefahr laufen, nicht alle Antworten zu haben.
Bei denen die Möglichkeit besteht, dass wir als unvollkommen enttarnt werden.
Es sind die Projekte, bei denen wir unserer Verletzlichkeit ins Auge schauen müssen – und bei denen unglaublich viel Wachstum möglich ist.

Zeig dich verletzlich

Es ist dringend an der Zeit, den dunkeln, angstmachenden Schleier von der Verletzlichkeit abzunehmen. Sich verletzlich zu zeigen ist unangenehm und schwer, gar keine Frage. Aber es ist unausweichlich, wenn wir unser Leben in all deiner Tiefe und den bunten Facetten voll erfahren möchten und wenn wir authentische Verbindungen mit den Menschen eingehen wollen, die wir lieben.

“Vulnerability is the core of shame and fear and our struggle for worthiness, but it appears that it’s also the birthplace of joy, of creativity, of belonging, of love”, sagt Brené Brown in ihrem Ted Talk Die Macht der Verletzlichkeit. Sie beschreibt, wie wir es durch Süchte – Essen, Shoppen, Alkohol, Netflix in Dauerschleife – geschafft haben, unsere Verletzlichkeit zu betäuben, um Gefühle wie Scham, Angst oder Trauer nicht fühlen zu müssen. Aber sie sind die eine Seite der glänzenden Gold-Medaille! Ohne Scham, Angst und Trauer keine übersprudelnde Freude, echte Liebe und tiefe Verbindungen. Sie gehören einfach zusammen.

Wachstumsschmerzen aushalten

Wie sieht für dich das „Idealbild“ deiner Selbst aus? Lass es los. Du bist vollkommen in deiner Unvollkommenheit. Mensch zu sein, heißt Fehler zu machen. Es bedeutet, immer weiter zu lernen und die Illusion des perfekten Selbst und der Kontrolle loszulassen. Dieser Prozess ist oft begleitet von einem inneren Unwohlsein, ich nenne diese Enge gerne Wachstumsschmerzen. Das Innere dehnt dich weiter nach außen aus. Du wächst.

Wenn aus deinem Innern ein Projekt in die Welt geboren werden will, trau dich, dich verletzlich zu machen. Trau dich, dich in all deinen Beziehungen authentisch und echt zu zeigen. Die Welt braucht nicht mehr Leute, die einem bestimmten Ideal entsprechen wollen und das kopieren, was als „Richtig“ deklariert wird. Sie braucht dich in deiner Einzigartigkeit. Um es mit den Worten von Oscar Wilde auszudrücken: „Be yourself. Everyone else is already taken.“ Und zu dir gehören deine Schattenanteile unausweichlich dazu.

Kein Licht ohne Schatten, stimmt’s? Begrüße deine Scham, deine Angst und Trauer, wenn sie dich das nächste Mal besuchen. Sie haben eine Botschaft. Hol dir Menschen in dein Leben, die dich voll und ganz sehen wollen – nicht nur den Zuckerguss – oder die zumindest auf dem gleichen Weg sind wie du, einem Weg hin zu mehr Selbstliebe, Annahme, Gelassenheit und Empathie.

Mein Projekt? Ich bin dran. Und werde dir in den nächsten Wochen mit einer guten Prise Verletzlichkeit mehr davon berichten.

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Janine Schneider