Feder in der Hand

Gehört werden. Wirklich gehört werden. Sich zeigen dürfen mit allen Anteilen, auch den Schatten, von denen wir oft denken, wir müssten sie tief in uns vergraben. Diese zauberschöne und heilsame Erfahrung mache ich heute wieder und wieder in Sharing Circles, besonders in meinen Frauenkreisen – ich spüre ein erdiges, warmes Gefühl im Herzen, ein Gefühl des Nachhauskommens.

Im Sharing Circle gehört werden

In Konflikten mit anderen geht es darum, Recht zu bekommen oder zumindest der gleichen Meinung zu sein, hab ich lange gedacht. Es war für mich so schmerzhaft, Konflikte – besonders mit den Menschen, die ich liebe – nicht auflösen zu können. Aber noch schmerzhafter war es, sie nicht aussprechen und benennen zu können, kein offenes Gegenüber zu haben. Heute versteh ich: Es geht und ging nicht darum, Recht zu haben. Es ging einfach darum, wirklich. gehört. zu. werden.

Es hat etwas gedauert zu verstehen, warum sich die Erfahrung, vor Menschen in einem Kreis aus dem Herzen frei sprechen zu dürfen, so verdammt gut und wichtig anfühlt. Der Grund? Die Kraft des Kreises.

Was den Sharing Circel besonders macht

Der Sharing Circle oder Herz-Redekreis ist eine der ältesten Traditionen aus indigenen Völkern, bei der Menschen in einer Gruppe zusammenkommen und aus dem Herzen teilen und zuhören. Sharing Circles werden heute wieder populär, und damit wird auch der Wert der Gemeinschaft wieder in den Fokus unseres Zusammenlebens gerückt.

Dabei ist das Format des Kreises zentral: Alle sind gleichwertige MitgliederInnen. Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Auch wenn es einen Hüter oder eine Hüterin des Kreises gibt, der z.B. die Zeit im Blick behält und bei Konflikten dafür sorgt, vereinbarte Strukturen einzuhalten, halten alle gemeinsam diesen rituellen Raum.

Anders als bei einem normalen Treffen mit FreundInnen hat der Redekreis

  • eine klare Intention
  • eine Struktur, die Halt und Sicherheit gibt
  • und Vereinbarungen, an die sich alle Teilnehmenden halten.

Er ist ein Ritual in einem geschützten Raum, in den wir die Qualitäten Respekt, Akzeptanz, Präsenz und Vertrauen einladen, um echte und authentische Verbindungen möglich zu machen.

„Respekt ist das Zentrum des Kreises, wo immer er praktiziert wird und gut funktioniert“, schrieb Manitonquat, ein Stammesältester der Wampanoag und Lehrer für Counseling in seinem Buch Der Weg des Kreises. „Ganz gleich, wie du dich entschließt, deinen Kreis zusammenzubringen und zu eröffnen, sollte es ganz am Anfang eine Erinnerung an den Respekt geben.“

Ablauf eines Sharing Circles

Was passiert also, wenn eine Gruppe zu einem Sharing zusammenkommt? Grundsätzlich kann jeder einen Sharing Circle initiieren und ihm eine bestimmte Ausrichtung geben. Auf der Basis des Respekts und des Vertrauens gibt es eine bewusste Einstimmung und einen Abschluss des Sharings.

Die Einstimmung ist dazu da, die Energien der Gruppe zu fokussieren, die Intention zu kommunizieren und mit kleinen Übungen wie einer Meditation, einem Lied oder Körperübungen aus dem Kopf ins Herz und ins Jetzt zu kommen.

Eine besonders wichtige Vereinbarung ist es, dass alles Gesagte im Kreis bleibt, und nur hier. Durch diese Vereinbarung der Vertraulichkeit wird die Grundlage gelegt, dass sich alle frei und sicher fühlen, Dinge ehrlich auszusprechen. What is shared in the circle, stays in the circle.

Bei der Einstimmung kann eine Kerze in der Mitte des Kreises auf einem schönen Altar angezündet werden. Hier liegt auch der Redestab, der ein weiteres zentrales Element des Sharing Circles sein kann. Der Redestab kann ein schöner Ast sein, ein besonderer Stein, eine Feder oder ein Schmuckstück. Er gibt der Person, die ihn hält, die Möglichkeit, ohne Unterbrechung zu sprechen. Nach dem Teilen geht der Stab wieder zurück in die Mitte oder zur nächsten Person.

Ob eine Minute oder zehn: Wieviel Zeit eine Person zum Teilen hat hängt natürlich davon ab, wie lange der Kreis gehalten wird. Ein schönes Bild ist es, sich die gemeinsame Zeit wie ein Stück Kuchen vorzustellen – jeder bekommt ein Stück, ein Stück Zeit. Ein Time Keeper kann einen kleinen Gong ertönen, wenn die vereinbarte Redezeit um ist. Oder alle teilen ganz frei und achten zusammen darauf, dass jede und jeder sein Stückchen vom Kuchen bekommt.

An manchen Tagen in meinem Frauenkreis hab ich so viel zu teilen, dass ich mich irgendwann richtig bremsen muss. An anderen Tagen höre ich viel lieber zu und halte den Raum für die, denen etwas auf der Seele brennt. Darauf zu vertrauen, dass ein Redekreis als Ritual mit einer Intention von einer höheren Kraft gehalten wird und alles so passiert, wie es sein soll, bringt Leichtigkeit in die Runde.

Genauso wichtig wie die Einstimmung ist der bewusste Abschluss des Redekreises. Mit Dankbarkeit für alles Geteilte kann z.B. noch ein Moment in Stille gesessen werden. Das Auspusten der Kerze kann den Kreis schließen. Zwischen Einstimmung Abschluss liegt das Herzstück …

Aus dem Herzen sprechen & mit dem Herzen zuhören

Für mich ist eine Sharing Circle eine Achtsamkeitspraxis, die sich auch wunderbar in einen Yogakurs einweben lässt. Im Circle halten wir inne, schauen nach innen, wo wir mit unseren Gefühlen in Kontakt kommen können. Ich frage mich: Hey, was ist denn eigentlich gerade in mir lebendig, in mir da? Diese Gefühle, Gedanken und Geschichten frei zu teilen kann unglaublich befreiend sein.

Genauso bedeutend wie das Sprechen aus dem Herzen ist das annehmende Zuhören. Es geht dabei nicht darum, Lösungen für ein Problem zu finden, Tipps oder Bestätigung zu geben. Die Intention ist, mit offenem Herzen statt kritischem Verstand aktiv zuzuhören.

Hierdurch macht der Redekreis offene Kommunikation in einem sicheren Raum möglich. Das gibt uns nicht nur ein Gefühl der Zugehörigkeit, sondern stärkt auch unser Selbstvertrauen. Durch Zuhören können so viele Missverständnisse und Konflikte gelöst oder vermieden werden, die aufgrund von Interpretationen entstehen. Wenn ich mich traue, meine Gefühle ehrlich zu teilen, werden auch die darunterliegenden Bedürfnisse leichter sichtbar.

Es hört sich irgendwie so einfach an: Offen sprechen und aktiv zuhören. Und auf der einen Seite ist es das auch, was das Format des Redekreises für mich so besonders macht. Jeder Mensch kann teilhaben, jeder kann den Kreis einberufen.

Auf der anderen Seite sind die Fähigkeiten, Gefühle zu erspüren und zu benennen und urteilsfrei zuzuhören eine absolute Kunst. Und hier geht die Reise hin! Wenn wir tiefe Beziehungen leben wollen, führt kein Weg an Verletzlichkeit, Respekt und Ehrlichkeit vorbei.

Der Weg führt uns in den Kreis.